Flugplatz Kaditz

Städtischer Land- und Wasserflugplatz Dresden-Kaditz - Ansichtskarte

"Land- und Wasser-Flugplatz" in Kaditz ... am 29. Oktober 1912 beschloss der Rat zu Dresden die Errichtung eines Luftschiffhafens und Flugplatzes mit einer Fläche von 18,5 ha auf der Kaditzer Flur.
Am 25. Oktober 1913 wurde westlich der Washingtonstraße (heutiges Gelände von Raab-Karcher) die städtische Luftschiffhalle nach einer Rekordbauzeit von 6 Monaten übergeben. Am 26. Oktober 1913 wird im Beisein von König Friedrich August III. der erste Städtische Land- und Wasser-Flugplatz Dresden in Kaditz eingeweiht. Die Begrüßungsansprache hält der Dresdner Oberbürgermeister Gustav Otto Beutler.

Luftschiffhalle - Foto: Archiv M. SchreiberDie große Luftschiffhalle wurde unter Einsatz von 900 Tonnen Stahl durch das Berliner Unternehmen Zeppelin-Hallenbaubau Gesellschaft errichtet und kostete 580000 Reichsmark. Das 191 Meter lange, 58 Meter breite und 37 Meter hohe Bauwerk bot Platz für zwei Luftschiffe. Sie diente zur Wartung der Parsefal- und Zeppelin-Luftschiffe. An den Stirnseiten befanden sich halbrunde Drehtore und im Inneren Versorgungseinrichtungen für das brennbare Wasserstoffgas. Gelbe Drahtglasfenster sollten vor der gefährlichen Sonnenstrahlung schützen. Die Rasenfläche für Start und Landung hatte ein Ausmaß von 1000 mal 750 Meter.
1913: Marine-Luftschiff-Abteilung vor dem Schloss Übigau (Foto: Zeppelinmuseum Tondern, Nachlass Wenzel L 4)Das damalige Flugplatzgelände würde heute von der Washingtonstraße, dem Hornbach-Markt und dem Elbbogen zwischen Flügelwegbrücke und Flutrinnenende Kaditz begrenzt. Eingeschlossen ist dabei auch das Gelände des jetzigen Siemens-Technoparkes und die heutige Kläranlage, die sich damals mitten im Gelände des Flugplatzes befand.

Die deutsche Luftschifffahrts AG verpflichtete sich, ab 1913 unter Benutzung der Luftschiffhalle einen regelmäßigen Luftschifffahrtsbetrieb von und zu Dresden einzurichten und zu unterhalten. Zeppelin-Luftschiff Sachsen vor LuftschiffhalleEine Fährverbindung (im Sommer) zwischen Cotta und Flugplatz sorgte für eine bessere Anbindung des Flugplatzes an die Stadt. Am 26. Oktober 1913 fand die feierliche Eröffnung des Flugplatzes und der Luftschiffhalle statt. König Friedrich August III. erschien mit Familie und weiteren Vertretern des Königshauses zur Feier. Das Luftschiff "Sachsen" unternahm mit 15 Personen eine einstündige Fahrt nach Pirna.

Zahlreiche Flugveranstaltungen folgten. Der französische Sturzflieger Adolphe Célestin Pégoud, der deutsche Flieger Willi Kanitz, der französische Rückenflieger Pierre Canteloup, Flugpionier Alfred Friedrich, und andere zeigten ihr Können.
Das Kriegsministerium errichtete 1915 auf dem Gelände des Kaditzer Flugplatzes eine Militärflughalle in eigener Regie, die auf Grund der Demilitarisierung des Versailler Friedensvertrages nach dem ersten Weltkrieg bis zum 2006 - Frühere Zeppelinhalle in Wilthen, Fa. Hünlich (Foto: M. Herfort)30. September 1921 zerstört werden musste. Ein großes Stück dieser Halle wurde nach Wilthen (Firma Hünlich) umgesetzt. Diese dient zur Zeit der Wilthener Weinbrennerei zur Lagerung von Millionen Litern feinsten Weinbrandes.

Die große städtische Halle für Zeppelin-Luftschiffe wurde ebenfalls 1921 abgebrochen, da sie im Ersten Weltkrieg militärisch genutzt wurde. Von deren Verbleib ist nichts bekannt. 

Zur Belebung des Flugverkehrs wurde die Ansiedlung verschiedener Firmen gefördert, wie z.B. die Firma Reichelt unter dem Namen "Fliegerschule und Flugzeugbau Aero GmbH". Später wurde daraus nach dem tragischen Tod der Firmeninhaber die "Sächsische Luftreederei GmbH" (seit 1919).

Nach dem ersten Weltkrieg befanden sich mangels der notwendigen Betriebsstoffe nur noch die beiden Linien Dresden-Chemnitz-Plauen und Dresden-Bautzen-Zittau in Betrieb, deren Befristung am 15. November 1919 erlosch. Durch mehrere tragische Unglücke am 11. Januar 1920 und 9. Februar 1920 war das Schicksal der "Sächsischen Luftreederei GmbH" besiegelt. Am 15. Januar 1921 wurde das Konkursverfahren eröffnet. 1922 entschied der Sonderausschuss Luftverkehr der Stadt Dresden, den Heller im Norden der Stadt als neuen Flugplatz auszubauen. Bereits 1924 begann der Umzug des Flugplatzes.
Nach dem die 1925 begonnene Wasserfluglinie Dresden-Magdeburg-Altona bei Hamburg vom Wasserflugplatz (ab Dresden-Johannstadt) nach kurzer Zeit sich als überholt und unrentabel erwies, wurden die verwendeten Maschinen Typ Junkers "F13" Ende 1926 in einer Halle in Dresden-Kaditz zu Landflugzeugen umgerüstet.

Letztes erhaltenes Gebäude des früheren Flugplatzes (Gebäudeteil der ehemaligen Militär-Wasserstoff-Gasanstalt) im Siemens-Technopark (Foto: Philipp)Bis zur endgültigen Schließung des Flugplatzes Kaditz im Jahre 1927 wurde der Platz u.a. für Flugschauen genutzt. Auch nach der Schließung landeten in den Folgejahren immer wieder Piloten eigenmächtig auf dem Flugplatz.

Heute erinnert das Gartenlokal "Flugplatzbaude" in der gleichnamigen Kleingartensparte an die frühere Bedeutung des Geländes.
An der Ecke Washingtonstraße / Overbeckstraße befindet sich neben einem Neubau (z.Z. Filiale eines Kaminherstellers) das letzte erhaltene Gebäude der alten Flugplatzanlagen.

Entstehung des Planes zwischen 1913 und 1915, kein genaues Datum bekanntLageplan des städtischen Land- und Wasserflugplatzes Dresden-Kaditz um 1920

Tipp Buchtipp: "Als Fliegen noch ein Wagnis war. Zum 100. Jahrestag der Eröffnung des Flugplatzes Dresden-Kaditz" von Siegfried Reinhardt. 

Aus der Presse 1926

Hier einige Zeitungsmeldungen aus der Dresdner Volkszeitung (DVZ) von 1926 zu einigen der letzten Flugveranstaltungen auf dem Flugplatz Kaditz (entdeckt und aufbereitet von Horst Rein†):

Flugveranstaltung (DVZ vom 6. April 1926)

"Der Verein Dresden des Deutschen Luftfahrtverbandes beginnt seine diesjährigen Schauflugvorführungen am 10. April. Sie bestehen aus Flugzeugparade, Geschwaderflug, Kunstflug, Ballonschießen und Fallschirmabsprung. Aus verschiedenen Gründen ist es nicht möglich, diese Veranstaltung auf dem neuen Flugplatz auf dem Heller abzuhalten. Sie findet daher auf dem Flugplatz Kaditz statt."

Der Flugplatz auf dem Heller (DVZ vom 10. April 1926)

"Am Montag (12.4.) wird mit der Wiederaufnahme des Luftverkehrs auch der neue Flugplatz auf dem Heller in Benutzung genommen werden. ...... Der alte Flugplatz Kaditz wird als Reserveflugplatz beibehalten und soll zur Abhaltung von Schauflügen und anderen Veranstaltungen dienen. ..."

Flugtag in Dresden-Kaditz (DVZ vom 20. April 1926, S. 6/7)

"Die Veranstaltung beginnt am 25. April, nachmittags 3 Uhr, mit einem Geschwaderflug. Schon hier wird hohes Können gezeigt, denn es ist gewiß nicht einfach, bei 180 Kilometer Geschwindigkeit "Vordermann" und "Richtung" zu halten, zumal außerdem in der dritten Dimension. Anschließend folgt die hohe Schule des Fliegens, die hauptsächlich auf dem "Looping" und dem "Trudeln" beruht. Alle anderen Flugformationen sind Kombinationen. Am einfachsten ist der "Looping mit der Bezeichnung des Überschlagens in Längsrichtung zu erklären. Der Flieger "drückt" (Tiefensteuer) seine Maschine, um genügend Geschwindigkeit zu erhalten und "zieht" (Höhensteuer) sie dann so noch langsam hoch, bis sie einen Kreis, dessen Bahn nach oben gerichtet ist, beschreibt. Am Kulminationspunkt stellt der Flugzeugführer meistens den Motor ab und läßt das Flugzeug durch seine Eigengeschwindigkeit den zweiten Teil der Schleife vollenden. Wesentlich anders ist das "Trudeln". Mit Absicht nimmt der Pilot dem Flugzeug die Steuerfähigkeit, bis es sich um seinen eigenen Mittelpunkt drehend, willenlos der Erdanziehungskraft überläßt und herabflattert. Jetzt aber beginnt das fliegerische Können. Der Flieger "fängt" sobald es ihm beliebt, die Maschine wieder auf, stellt somit die Steuerfähigkeit wieder her und setzt den normalen Flug fort.
Die Aero-Expreß-Luftbetriebsgesellschaft ist ein gemeinnütziges Unternehmen. Ihr Heimathorst ist der Flugplatz Leipzig-Mockau. Die Gesellschaft ist als gewerbliches Luftverkehrsunternehmen und als gewerbliche Fliegerschule zugelassen. Sie ist die einzige sächsische Fliegerschule. Leiter ist Herr Dr. Cullmann, Chefpilot Herr Ingenieur Hempel. Beide sind altbewährte Kriegsflugzeugführer und jetzt bekannte Sportflieger."

Flugtag in Kaditz (DVZ vom 27. April 1926, S.7)

"Die am Sonntag wegen des herrschenden Sturmes abgesagte Flugveranstaltung nahm am gestrigen Montag ihren ungestörten Verlauf, trotzdem an diesem Tag ein starker Wind wehte. Verglichen mit den Vorkriegsflugtagen haben diese Veranstaltungen nicht entfernt mehr das Interesse des Publikums wie damals, als zum ersten Male auf einem weiten mit großen Kosten umplankten Platz in Heidenau ein Franzose fliegen wollte, aber wegen geringer Windstärke nicht in Aktion trat, und als Pegoud dann später seine Stürze und Spiralen in Kaditz bot. Hunderttausende kamen damals herbeigeströmt, diesmal kamen an die 2000, während am Sonntag eine doppelte Zahl zusehen wollte. Die Flüge am Montag konnten programmgemäß und ohne Zwischenfälle durchgeführt werden. Zuerst wurde ein Geschwaderflug von drei Doppeldeckern geboten, die sich flott in Richtung hielten, dann kamen Sturz- und Trudelflüge, bei denen sich die Maschinen überstürzten und herabflatterten, um dann wieder aufzufliegen. Zum Schluß kam der mit besonderem Interesse erwartete Fallschirmabsprung. Der Springer Meisterknecht sprang in 500 Meter Höhe aus der Maschine. Sofort entfaltete sich der Fallschirm und ziemlich schnell schwebte der Springer herab, um glatt auf dem Flugplatz zu landen. Den Kindern war es eine besondere Freude, als mehrere hundert Tafeln Schokolade abgeworfen wurden. Die Veranstaltung bildete den Abschied vom Kaditzer Flugplatz. Künftig wird auf dem Heller geflogen."

DVZ vom 15. Juli 1926, S.13

 

Immelmann-Gedächtnisflugtag

Sonntag, den 18. Juli, nachmittags 4 ½ Uhr, auf dem Flugplatz in Kaditz-Dresden unter Mitwirkung bekanntester Flieger, sowie des berühmten

Kampffliegers Wüsthoff

Sachsens einzigem überlebendem Pour le mérite Fliegers, Staffelführer des Richthofengeschwaders

Gr.Schau- und Kunstfliegen, Fallschirmabsprünge, Luftkämpfe

Jagd auf 1000 Luftballons Passagierflüge

Die Chemnitzer Allgemeine Zeitung schreibt vom Flugtag am 28. Juni 1926: "Wüsthoff leistet Verblüffendes. Seine Loopings-Sturzflüge und Kurven waren atembeklemmend. Sicher landete er jedesmal von rauschendem Beifall begrüßt."

Im Anschluß an die Flugveranstaltung findet die Taufe des Chlorodont-Flugzeuges, sowie die Besichtigung der übrigen Flugzeuge statt, wozu alle Teilnehmer, welche mit Eintrittskarten versehen sind, Zutritt haben.

Eintrittskarten erster Platz RM 2.-, zweiter Platz RM 1.-, sind nur an der Kasse des Flugplatzes erhältlich. Straßenbahnwagen und Kraftomnibusse nach dem Flugplatz ab Postplatz.

Der Reinertrag findet für ein Immelmann-Ehrendenkmal Verwendung.


Fliegerabsturz in Kaditz - Der ehemalige Kampfflieger Wüsthoff sehr schwer verletzt (DVZ vom 19. Juli 1926, S. 6)

Auf dem Kaditzer Flugplatz fand gestern ein Schaufliegen statt, das als "Immelmann-Gedächtnisflugtag" angekündigt worden war. Der Reinertrag sollte für ein Immelmann-Ehrendenkmal Verwendung finden. Das Schaufliegen, dessen Veranstalter die Ehrung des toten Kriegsfliegers nicht gerade geschmackvoll mit der Taufe eines Chlorodont-Reklameflugzeuges verquickte, endete vorzeitig mit einem schweren Unglück: der ehemalige Kampfflieger Wüsthoff, als Staffelführer des Richthofen-Geschwaders und als Sachsens einziger überlebender Pour-le-mérite-Flieger mit großem Nachdruck angekündigt, stürzte bei der Vorführung von Kunstflügen mit dem Chlorodont-Flugzeug aus einer Höhe von ungefähr 150 Metern ab. Wüsthoff wurde aus dem Flugzeug geschleudert. Er erlitt schwere Verletzungen. Das Flugzeug wurde vollständig zertrümmert.

Unser Berichterstatter, der der Flugveranstaltung beiwohnte und aus nächster Nähe Augenzeuge des Unglücks wurde, berichtet darüber:
Nachdem programmäßig ein Geschwaderflug von vier Flugzeugen, eine Ballonjagd und ein kühner Fallschirmabsprung des Fallschirmfliegers Meisterknecht aus Halle einer Kampfflugvorführung vorausgegangen waren, erhob sich der Flieger Wüsthoff noch einmal mit der Chlorodont-Maschine zu Kunstflügen. In kleinsten Kurven nimmt das schlanke Flugzeug die Höhe. Dann liegt es ganz schräg. Wüsthoff winkt herunter. Ein junges Mädchen und eine Frau neben mir winken wieder; Braut und Mutter des Fliegers. Nun überschlägt sich das Flugzeug, der Flieger hängt mit dem Kopf nach unten. Steil fällt es ab, die Hand des Führers reißt es zum steilen Flug nach oben. Immer schwieriger werden die Übungen. Jetzt aber gerader, erschreckend steiler Flug nach unten. Rufe des Erstaunens und der Bewunderung. Die Köpfe des Publikums wenden sich zur Seite, schräg auf sie zu saust das Flugzeug, in einer Höhe von 150 Metern bäumt es sich noch einmal nach oben auf und fällt plötzlich steil nach unten ins freie Feld, vierzig Meter von den Zuschauern entfernt. Das Mädchen neben mir faßt die alte Frau, diese schreit auf. Man sieht die Maschine sich noch einmal am Erdboden überschlagen und dann unter einem gewaltigen Krachen in sich zusammenbrechen. Die Zuschauer wollen in lauter Aufregung dorthin; nur mit Mühe gelingt es der Polizei, sie zurückzuhalten. Schwestern und Sanitäter eilen herzu. Aus dem Flugzeug herausgeschleudert liegt Wüsthoff einige Meter entfernt vom Apparat mit zwei Beinbrüchen und einem Schädelbruch. Neben Sanitätsrat Dr. Hopf und Dr. Löwe leistet auch der sozialdemokratische Stadtverordnete Dr. Deppe die erste Hilfe. Kurz darauf erschien der Krankenwagen, der den schwerverwundeten, bewußtlosen Flieger ins Friedrichstädter Krankenhaus brachte.

Die Veranstaltung wurde sofort abgebrochen. Kurz bevor das Unglück geschah, war die Reichswehrkapelle nach vorn geholt worden, die den Flieger nach der Landung mit einem Tusch und dem Deutschlandlied, das nach den Dresdner Nachrichten "gewiß allen auf den Lippen lag", begrüßen sollte.
Im Friedrichstädter Krankenhaus hat Professor Fromme sofort die erforderlichen operativen Eingriffe vorgenommen. Nach den vorliegenden Nachrichten ist Wüsthoff sehr schwer verletzt, besonders schwer an beiden Unterschenkeln, am Schädel und wahrscheinlich auch am Gehirn. Innere Verletzungen scheinen nicht vorzuliegen, so daß eine ernsthafte Gefahr für das Leben des Verunglückten nicht zu bestehen scheint.

Ein Lehrer schickt uns folgende Betrachtung über den gestrigen Flugtag:
Zu einem "Immelmann-Gedächtnisflugtag" waren gestern viele tausend Menschen auf das Kaditzer Flugfeld eingeladen. Die Heldenehrung sollte von dem "einzigen noch lebenden" sächsischen Kampfflieger Wüsthoff, der mit dem Orden Pour le mérite ausgezeichnet ist, durch waghalsige Kunstflüge vollzogen werden. Also eine Art sogenannten vaterländischen Gedenktages sollte es geben.

Um so erstaunter war der Besucher, als er das ganze Unternehmen in die Hand einer außerordentlich stark mit Reklame arbeitenden Firma gelegt sah. Gleich am Eingang wurde man von zahlreichen Männern empfangen, die eine breite Binde mit dem Wort "Chlorodont" am Arm trugen; noch mehr Kontrolleure und Zettelverteiler liefen mit solchen Armbinden ständig auf dem Platz umher; ein Flugzeug war in Chlorodontpackung aus Pappe gekleidet; ein Flieger, der aus 500 Metern Höhe mit einem Fallschirm abspringen wollte, fuhr im Auto umher und verkündete alle paar Meter der staunenden Menge, daß er dies ausdrücklich vom "Chlorodont-Flugzeug" aus tun werde. Und dieses Reklameflugzeug war es denn auch, das zuerst aufstieg und lange Zeit allein das Luftfeld behauptete, um immer wieder und wieder den Namen "Chlorodont" von oben herab zu zeigen. Und eben dieses Flugzeug war es, das zuletzt in kühnsten Flügen Schleifen und Schrauben beschrieb und sich einfach und mehrfach überschlug, bis es schließlich abstürzte.

Über Wert und Unwert des Chlorodont wollen wir hier nicht reden. Die Güte eines Produktes ist ja nicht immer gleichbedeutend mit dem Aufwand an Reklame, der dafür getrieben wird. Jedenfalls hat das Chlorodont seinen Fabrikanten in kurzer Zeit zu einem schwerreichen Mann gemacht, der die Villa Eckberg bewohnt und als erster Steuerzahler der Stadt gilt. So konnte er es sich denn auch leisten, diesen als patriotischen Gedenktag aufgezogenen Nachmittag unter einem besonders herrlichen Reklamehimmel zu seiner Geschäftsreklame zu benutzen!
Wir wissen ja längst, daß das Wort "Vaterland" von so manchem unserer Mitbürger mit dem Wort "Portemonnaie" übersetzt zu werden pflegt. Das nun auch das Wort "Heldenehrung" unter das gleiche Stichwort gebracht ist, das bleibt ein unvergänglicher und unvergeßlicher Reklametrick der Chlorodontfabrik.
So war es denn auch verständlich, daß gestern Nachmittag über ein solches Gebaren manch böses Wort fiel. Mit Recht. Denn die geschäftliche Ausnutzung solcher Veranstaltungen ist an sich schon eine üble Geschmacklosigkeit, die dadurch nicht gerechtfertigt wird, daß man ihnen ein patriotisch-sentimentales Mäntelchen umhängt.
Der "einzige noch lebende" Pour-le-mérite-Flieger wurde denn auch ein Opfer solcher Geschäftsreklame. Den mannigfachen Tücken des Krieges war er heile entkommen, um nun als ein armer Teufel auf dem Schlachtfeld des Kapitalismus zur Strecke gebracht zu werden! Der Schädel und beide Beine sind ihm gebrochen.
So endete der "Immelmann-Gedächtnisflugtag", der in Wahrheit ein "Chlorodont-Reklame-Flugtag" sein sollte.

DVZ vom 20. Juli 1926, S. 6

Dem verunglückten Flieger Wüsthoff mußten im Krankenhaus beide Unterschenkel abgenommen werden. Innere Verletzungen sind nicht festgestellt worden. Sein Gesamtzustand ist nach wie vor besorgniserregend. Der Kranke hatte bis heute Mittag die Besinnung noch nicht wieder erlangt.

DVZ vom 21. Juli 1926, S. 7

Das Befinden des Fliegers Wüsthoff ist heute immer noch unverändert. Das Bewußtsein kehrt von Zeit zu Zeit für kurze Augenblicke schwach zurück, um sofort wieder für Stunden zu schwinden.

DVZ vom 23. Juli 1926, S. 6

Wüsthoff verstorben. Heute früh 7 Uhr ist der Flieger Wüsthoff, der bei der Flugveranstaltung am Sonntag abstürzte, verstorben.

 

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